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Zuweilen finde ich nicht in den Schlaf. Ich habe verschieden Methoden entwickelt, um damit umzugehen. Ich kann zu Beispiel etwas trinken oder mich mit dem Spätprogramm ablenken. Wann immer es möglich ist, ziehe ich jedoch einen Spaziergang vor. Dabei kann man die Nacht atmen und sie fragen, ob man willkommen ist.

Der Tag hatte nur noch wenige Minuten. Ich zog mich leise an, damit niemand geweckt wurde. Neben das Telefon legte ich einen Zettel, der erzählen konnte, wo ich war. Dann machte ich mich auf den Weg.
Meine Stadt ist wie eine Katze, die man schon lange kennt. Sie tut nie etwas grundlegend Neues und strahlt so die Wärme der Gewohnheit aus. Allenfalls die Dunkelheit macht sie ein wenig unheimlich. Ich ging ein Stück entlang meines alten Schulweges. Am Bahnhof bog ich mit der Hauptstraße ab und blieb vor der ehemaligen Weberei stehen.
Ich roch an der Nacht. Riechen ist mein Trick, wenn ich an nichts denken möchte. Es funktioniert, weil der Gebrauch der Nase unser Gehirn für den Moment völlig auslastet. Deswegen rieche ich gerne. Ich griff nach meiner Kapuze. In diesem Moment begann ich etwas zu hören.

Es war nichts Einzelnes. Nichts Lautes. Eher eine Versammlung von kleinen geschäftigen Geräuschen die zusammen gewaltig sind, ohne es zu wollen. Ich blickte mich um und mir wurde klar, dass dieses eigentümliche Klickern und Klackern seinen Ursprung wohl in der Fabrik haben musste.
Nun hätte ich schwören können, dass die Scheiben des Gebäudes am vergangenen Tag noch bis zum obersten Stockwerk zerschlagen gewesen waren. Doch jetzt reflektierten sie unversehrt und matt den Mond. Beim genaueren Hinsehen fand ich, dass hinter manchem Fenster nun ein schwaches Licht zu sehen war. Ich war so fasziniert von den Beobachtungen, dass mir deren Absurdität kaum bewusst wurde. So ergeht es mir manchmal in der Nacht.

Über all dem lag noch immer das Klickern und Klackern und eine brennende Neugier zog mich zum Eingang. Ich war zu aufgeregt, um vorsichtig zu schleichen. Der Geräuschteppich blieb unverändert. Endlich erreichte ich den Eingang. Im selben Moment öffnete sich die Türe. Mitten in der Nacht wurde mir die Türe einer Fabrik geöffnet in deren Dachrinnen schon die Birken wuchsen. Ich schrie vor Schreck.
»Oh, es war nicht meine Absicht, sie zu erschrecken, mein Herr.« Ein freundlicher Mann in einem dezenten grauen Anzug erschien im Eingang. Er reichte mir seine Hand und bat mich durch eine weitere Geste einzutreten.
»Gestatten, mein Name ist Bronski. Ich freue mich außerordentlich über ihren Besuch. Ich habe sie schon des öfteren hier vorbeikommen sehen, müssen sie wissen.«
»Nun, ich brauche mich ja anscheinend nicht vorzustellen«, erwiderte ich unerschrocken, obwohl ich mich einer gewissen Beunruhigung nicht erwehren konnte.
»Nein, natürlich kenne ich sie. Das werden sie nachher sicher besser verstehen. Ohne eine gute Recherche ist ein Produkt wie unseres gar nicht herzustellen. Zumindest nicht in einer gewissen Qualität.«
Während ich darüber nachdachte, was er damit andeuten wollte, folgte ich ihm durch einen langen Gang während Herr Bronski unablässig sprach. Überhaupt gewann ich den Eindruck, dass die Worte aus ihm heraus sprudelten, als hätten sie sonst wenig Gelegenheit dazu. Und noch etwas wurde mir klar. Seine übermäßige Freude über meinen Besuch war ihm ernst und herzlich.

»Ich führe mit diesem Unternehmen eine lange Familientradition fort. Natürlich hat sich die Produktion in den vergangen Jahrzehnten grundlegend verändert. Die junge Generation arbeitet heute nur noch mit Computern. Wir produzieren noch immer traditionell. Das schmälert zwar unsere Marge, hat dafür aber mehr Klasse. Meine Mitarbeiter denken übrigens ebenso.«
Wir hatten am Ende des Ganges eine Tür erreicht und durchschritten. Inmitten einer Halle stehend, entdeckte ich nun auch die Quelle der Geräusche, die meine Neugier geweckt hatten. Es waren große Maschinen die stets von mehreren Personen gleichzeitig bedient wurden. Eine mannshohe Walze wurde mit kleinen Gegenständen oder Zutaten bestückt. Hierauf drehte sich die Walze mehrfach um die eigene Achse. Dann wurde wieder bestückt und sortiert. Die Apparaturen erinnerten an Druckmaschinen und Webstühle gleichzeitig. Oder an Generatoren. Ich war verblüfft und fasziniert. Das schien Herr Bronski sehen zu können. Und es gefiel ihm offensichtlich.
»Die Technik ist außerordentlich robust«, dozierte Herr Bronski weiter. »Drei der Maschinen laufen schon seit mehr als sechzig Jahren.«
Wir gingen auf einige Arbeiter zu. Ich suchte nach vertrauten Gesichtern aus der Stadt, konnte aber niemanden erkennen und zuordnen. Deshalb konzentrierte ich mich wieder auf die Apparate. Offensichtlich wurde etwas hergestellt, aber eine Ware oder irgendetwas Stoffliches konnte ich nicht ausmachen. Überall fanden sich glänzende Kanister, die mit unterschiedlichen Farben markiert waren. Beflissen wurden sie hin und her getragen. Es herrschte freundliche Ruhe. Bis auf das Klickern und Klackern.
»Gestatten sie mir die Frage, Herr Bronski? Ich sehe ihre Maschinen, ich sehe Menschen arbeiten und es scheint viel zu tun zu geben. Aber was um alles in der Welt verkaufen sie?«
Er lächelte und breitete voller Stolz die Arme aus. »Mein Geschäft sind die Träume. Seit mehr als einhundert Jahren liefert Bronski & Sohn die Träume der ganzen Stadt und darüber hinaus. Seit zwei Jahren exportieren wir auch nach Tschechien und Oberfranken.«
Ohne meine skeptischen Blicke zu bemerken, fuhr er eifrig fort.
»Wir produzieren hauptsächlich hochwertige Konfektion. Stilistisch aufwendiges und individuelles können wir natürlich ebenso anbieten, aber auf dem Land ist das so eine Sache. Was wir in der Nacht erleben prägt den Tag, da kann man mit all zu bunten Träumen recht schnell zum Außenseiter werden.«
Ich unterbrach ihn unwirsch. »Herr Bronski bei allem Respekt, ich finde es durchaus amüsant, was sie zu erzählen haben. Aber kann ich mich nicht erinnern, auch nur einmal in meinem Leben für einen Traum bezahlt zu haben. Und ohnehin waren viele so lausig, das es eher eines Schmerzensgeldes bedurft hätte, um sie zu erdulden. Und dann haben sie sicherlich die Liebenswürdigkeit, mir zu erklären, wie sie mir meinen Traum einflüstern.«
Herr Bronski schien ehrlich getroffen. Mit ruhiger Stimme fuhr er fort, um auf meine Zweifel einzugehen.
»Ich verstehe durchaus, dass es ihnen abstrakt vorkommt. Ihre erste Frage ist einfach zu erklären. In der zivilisierten westliche Welt gibt es ein großes Interesse an der Kontrolle über die Träume. Unter den Säugetieren haben nur die Menschen die natürliche Fähigkeit komplex zu träumen. In den ärmeren Gebieten der Erde entspricht das auch heute noch der Normalität. Aber wo immer eine Zivilisation es sich leisten konnte, haben sich die Regierungen die Kontrolle über die Träume erarbeitet. In Europa geschieht das flächendeckend. Natürlich klingt das erschreckend, aber es ist eher ein Vorzug. Diese synthetischen Produkte werden eingesetzt, weil sie uns gut tun. Unser Wohlbefinden wird stabilisiert und unsere Kreativität gefördert. Natürlich gibt es auch hin und wieder einen Fall der direkten Manipulation, aber für solche Spezialaufgaben werden stets Firmen mit hoher Staatsbeteiligung eingesetzt. Außerdem wird in unseren Kreisen niemals über solche Vorgänge gesprochen. Die Vergütung ist in den letzten Jahren unter den finanziellen Nöten der Staaten empfindlich beschnitten worden, aber dafür genießen wir Gebietschutz für jeweils zehn Jahre. Das hat wie sie sehen, nichts mit Parteien oder Legislaturperioden zu tun. Wir werden immer benötigt, genau wie der Polizeiapparat.«
Seine Art zu argumentieren entwaffnete mich derart, dass ich mir in meinem Zweifel nun beinahe ungerecht vorkam. Dabei war es vollkommen hahnebüchen, was er enthüllte. Und so gelassen und überlegt er in dem schien, was er sagte, so wenig konnte ich mich auf sein Äußeres verlassen. Mal schien er mir untersetzt und vom südländischen Typ, in der nächsten Sekunde stand ich ohne Zweifel einem kühlen Skandinavier gegenüber und einen Lidschlag später trug er den Mund voller Gold und legte mir jovial eine Hand auf die Schulter.
»Ich will auch versuchen, ihre zweite Frage hinreichend zu beantworten. Nun, wie gelangt der Traum in den Mensch? Heutzutage wird viel mit elektromagnetischen Wellen gearbeitet. Es fällt nicht auf, weil die gesamte moderne Kommunikation auf diesem Übertragungsweg basiert. Und mit Hilfe der Computer und geeigneter Sender lässt sich eine hohe Anzahl von Klienten versorgen. In Ballungsräumen wird ausschließlich so geträumt. Wir arbeiten jedoch aus Tradition mit der Molekülmodulation. Wir geben einer ausreichenden Anzahl von Molekülen eine Information in Form einer dreidimensionalen Schwingung. Das klingt sehr kompliziert, aber denken sie einfach an eine Geige. Das melancholische Lied einer Geige ist nicht anderes als eine komplexe Schwingung. So hat mir das schon mein Vater erklärt. Als Trägermaterial verwenden wir destilliertes Wasser. Es ist für den Modulationsvorgang notwendig, dass der Stoff möglichst reinen Charakters ist. Danach kann man das Wasser beliebig weiter verarbeiten, ohne das es die enthaltene Information verliert. Es sollte lediglich nicht eingefroren werden, weil im festen Aggregat die Schwingung zu sehr behindert wird. Der Traum wird dann unscharf und dumpf, wie wir sagen.«
Er führte mich an einen Tisch und gab mir ein Glas in die Hand.
»Ich werde ihnen ein Beispiel geben. Trinken sie das und sie werden davon träumen, in ihrem Bett aufzuwachen.«
Er spritzte die Flüssigkeit noch rasch mit einer Zitronenspalte ab und forderte mich mit einem Nicken auf, das Glas zu leeren.

Die Illusion war perfekt. Ich erwachte schlafwarm und in mein Kissen vergraben. Schemenhaft sah ich meine Frau aufstehen und in Richtung Kinderzimmer gehen. Ich schlich den Korridor entlang, vorbei am Telefon, neben dem noch immer ein Zettel erzählte, wo ich gewesen war. Und doch hatte der Morgen etwas Befremdliches. Der Morgen hatte ein Geräusch. Es hörte sich an, wie ein Klickern und Klackern.





© 2005 Christoph Krumbiegel