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Eine kleine Liebeserklärung an unsere Heimat. Sie dürfen dieses Gedicht wie versprochen kopieren und unkommerziell verwenden, wenn sie vor und nach der Rezitation meinen Namen und 2 x "Gelobt sei das Vogtland!" murmeln... ;-)
Mein Vogtland: Eine Gebrauchsanweisung für die Heimat
Teil I: Frühe Geschichte
Als Gott, nachdem er alles schöpfte vielleicht ein kleines Bierchen köpfte sah er am linken Saum von Sachsen noch einen Fleck, ganz unbewachsen
Und weil ihm das recht peinlich war vor Heilig Geist und Engelschar pflanzte er alles, was er hatte dort auf des Kontinenten Platte wo diese kahle Stelle war und es ergrünte wunderbar
Dann hat er - hiervon motiviert - den Landstrich kernig profiliert spendierte ein paar Bodenschätze verteilte sie an ihre Plätze
gab Bergen Licht und Tälern Ruh erschuf und formte immerzu bis er die Arme sinken ließ und dachte: Ups. Ein Paradies!
Wo wir doch aber schon eins haben mit Schlange, Baum und Sündengaben Und so begann sich Gott zu sorgen: Wie halt ich dies hier nun verborgen?
Die andern werden darum kämpfen wie kann ich die Gelüste dämpfen die dieses Land bei ihnen lockt Was hab ich mir nur eingebrockt?
Dann fand er, was den Fremden schreckt und gab uns einen Dialekt gedrungnen Wuchs und Augenfunkeln Bald hörte man die Völker munkeln
Nimm vor dem Stamm an Sachsens Rand doch schnell die Beine in die Hand Erst nach dem Grenzstein tief in Franken kannst du dann deinem Herrgott danken dass du der Brut entkommen bist die Ritter gleich samt Rüstung frisst
Natürlich ist das längst Geschichte dergleichen Angst- und Hetzberichte sind widerlegt und aufgeklärt seit man in Reisebussen fährt um hinter ihren großen Scheiben die Langeweile zu vertreiben
Und auf diese Art entstand unser Volk und unser Land Festzuhalten bleibt ganz richtig beides war der Schöpfung wichtig
Teil II: Die Eingeborenen
Nun, wir sind im Grunde so wie man wohl auch anderswo schläft und wohnt und lebt und liebt wenn es was zu lieben gibt
Ein, zwei Dinge oder Sachen gibt es, die wir anders machen Aber das ist kein Spektakel und noch weniger ein Makel allenfalls ein Argument wenn man uns nur flüchtig kennt
Also: erstens sind wir herzlich und direkt - was manchmal schmerzlich Man trägt ob Mädchen oder Junge das Herz zumindest nah der Zunge
und wenn man was vorm Munde hat dann in der Regel wohl kein Blatt Als Folge dieser Offenheit herrscht hin und wieder auch mal Streit
Mit scharfen Worten, schlecht wie Hexe führt man Disput um Grenzgewächse Gern wird’s auch sportlich angegangen mit Räumgerät und Teppichstangen
Ob schnellverzeihend oder stur wir pflegen hohe Streitkultur Nur selten führt der Fronten Klärung zu einer Strafe auf Bewährung
Das Herz bleibt meistens unverletzt weil man auch das Versöhnen schätzt Kannte der Kampf wohl kein Erbarmen danach liegt man sich in den Armen
Nun, wenn das Volk sich gut verträgt dann debattiert es unentwegt: Was da so ist und wer da wohne ob sich denn jene Ehe lohne
Wem gehört´s und wer wird erben wenn die Alten einmal sterben? Wer hat wo die Finger drin? Wo geht die montags immer hin?
So manchen Tages später Nutzen erschließt sich erst beim Gang zum Hutzen Rasanter als in Agenturen zieh´n hier die Neuigkeiten Spuren
Des die scho wieder laafn kaa die war doch jetz erscht ganz schlecht draa Der Alte is e rechte Ploach des kahste glaahm wenn iech des soch
So nehmen alle Teil am Leben indem sie sich Gesprächsstoff geben Erst wenn man kein Gerücht mehr sendet bist du vergessen und verendet
Ansonsten pflegt man Steckenpferde wie anderswo auf dieser Erde Man feiert gern und liebt das Scherzen entzündet in der Kirche Kerzen und ist im Übrigen recht heiter macht Komplimente und so weiter Man trägt das Herz am rechten Fleck und dort erfüllt es seinen Zweck
Teil III: Unsere Sprache
Gott hat in seiner großen Macht sich sicherlich etwas gedacht als er uns diese Sprache gab nur leider schweigt er wie ein Grab
Im Allgemeinen auf der Welt ist die Sache so bestellt: Es gibt ein Häufchen von Vokalen In jedem Land in Minderzahlen
die sind umringt von Konsonanten als stimmenschwache Lauttrabanten und schenken bei Normalverwendung Gedankenaustausch in Vollendung
Bei uns hier im gelobten Land hat der Vokal die Oberhand Selbst wenn der Konsonant im Rudel ersäuft er rasch im Selbstlautstrudel
So folgt nun eine Kurzabhandlung zu Folgen dieser Sprachverwandlung
Der starke Laut verbraucht viel Atem deshalb ist man ganz gut beraten wenn man die Lungen kräftig bläht bevor es ans Erzählen geht Sonst wirkt es nämlich wie ein Lächeln wenn wir am Satzesende hecheln
Wenn unser Wort die Stille bricht braucht es Elastik im Gesicht denn dieses tiefe Gutturale nimmt keine Rücksicht auf die Schale Der Sprachgebrauch verlangt zumindest dass du die rechten Töne findest dich kräftig in die Riemen legst indem du dein Gesicht bewegst
Indes ist der Erfolg umstritten: recht häufig wird man wohl inmitten von Fremden durch den Dialekt betrachtet wie ein Großinsekt Für solche Fälle lernt man besser ein kleines Stück von Mackie Messer von Zauberlehrling oder Faust womit du sie vom Hocker haust Und wer dich vorher angegafft trinkt sofort mit dir Brüderschaft
So werden wir von andren Landen zumeist nur mangelhaft verstanden Doch wenn wir mit den Fremden zechen verstehn wir uns auch ohne Sprechen dann wird der Dialekt egal Im Geiste sind wir längst global
Teil IV: Immigration
Es ist nicht so, dass wir misstrauen wenn gegenüber Fremde bauen Doch weiß man gern vom Nachbarhaus: Wo kommt der her, wo stammt die raus
Ob unverblümt, ob ganz von fern: Man observiert die Neuen gern Mit wachem Blick und Pokermiene steht man im Schatten der Gardine mit einem Ohr am Telefon Vielleicht weiß ja die Ilse schon ob er der Vater von dem Kind und ob sie aus der Gegend sind
Wir sind schon offen, das ist richtig doch Herkunft ist uns furchtbar wichtig Wer hierher kommt der muss es wollen sonst wird er wieder heimwärts rollen
Als Aspirant im Vogtlandreich ist man den Artgenossen gleich Vollkommen schnuppe, wer man ist ob Operndiva, Polizist ob Bischof oder Schachweltmeister man ist vor allem Zugereister
Und wenn man dieses Prädikat erstmal vom Volk erhalten hat trägt man´s fortan durch Berg und Tal wie Gorbatschow sein Muttermal
Es hilft auch nicht, nach ein - zwei Jahren mit Eingebornen sich zu paaren Im Gegenteil – man mehrt die Last und gilt fortan zu zweit als Gast
Doch bleibt man tapfer weiter wohnen für drei bis vier Generationen wird man ein Teil des Stammes sein wenn auch nicht gleich ein Urgestein
Und trotzdem gibt es Einzelfälle wo Zugereiste auf die Schnelle sie überwinden, diese Schranke als Quotenpreuße oder -franke die schnell zum Schoß des Volkes stoßen Doch das gelingt nur den ganz Großen
Ist auch der Weg des Fremden steinig die Überlebenden sind einig nach jener Quarantäne Ende scheint es, als reiche Gott die Hände Die Träne macht den Blick verschwommen hat dich das Vogtland angenommen
Teil V: Resümee
Vielleicht war es in meinen Werken erst auf den zweiten Blick zu merken doch hinter all dem Spott und Scherz verbirgt sich doch ein Heimatherz
Wir haben Ecken, Schrullen, Kanten Nicht nur wir selbst – auch die Verwandten Doch diese Hand voll Eigenheiten ist es vor allem und bei weitem die mir mein Land sympathisch macht dass man auch mal beim Streiten lacht mal über eignen Argwohn stolpert dass unsre Sprache manchmal holpert dass uns der Nachbar nicht egal auch wenn die eigne Börse schmal dass man hier noch zusammen lebt dass die Gemeinschaft Netze webt
Dass unsre Worte laut und leise und manchmal auf subtile Weise viel Bauernschläue in sich tragen All das bereitet mir Behagen
So schlägt mein Herz für unser Ländchen und artig falte ich die Händchen und danke meinem Herrn und Meister Gottlob bin ich kein Zugereister!
© 2006 Christoph Krumbiegel
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